Warum gehen wir spazieren, wandern, raus? Was suchen wir auf unseren Wegen? Natur, Landschaft, uns selbst? Lieben wir die Natur, die Landschaft die uns umgibt? Oder sehnen wir uns nach fernen Gegenden? Was sagt das eine oder das andere über uns aus? Sagt es überhaupt etwas über uns?
Interessanterweise ist der Begriff Landschaft erst relativ neuzeitlich rein geographisch interpretiert und definiert worden. Zuvor – etwa bis zur Renaissance – bezeichnete die Landschaft eher eine sozial-gesellschaftliche Einheit. Also vor allem die in der geographischen Landschaft lebende Menschengemeinschaft. Wir waren die damalige Landschaft und die heutige Landschaft war lediglich unsere Umgebung – bezeichnet als Landstrich.
Striche lassen sich gut auf’s Papier bringen. Landschaft lässt sich zeichnen, kartografieren, darstellen. Die Darstellung gibt dabei auch bei der Landschaft das Dargestellte je nach Zeit, Ort und Künstler mehr oder minder mimetisch, symbolisch oder stilisiert wieder. Von einer eigenständigen Landschaftsmalerei im engeren Sinn kann man bis zum Beginn des ausgehenden Mittelalters in Europa nicht wirklich sprechen.
In der Antike wie im alten Rom, in Ägypten wie bei den Ptolemäern und im gesamten asiatischen Raum war die Landschaftswiedergabe schon lange fester Bestandteil der Darstellenden Kunst, als man bei uns gerade einmal begann, mit Andeutungen von Geländeformationen bzw. von Gebäuden bestenfalls eine grobe Verortung der dargestellten Inhalte zu versuchen. So kann in einem mittelalterlichen Bild beispielsweise eine Wellenlinie bei der Taufe Christi den Fluss Jordan versinnbildlichen, eine Geländelinie mit Bäumen und Blumen wird als Symbol für das Paradies eingesetzt, eine befestigte Stadt als Hinweis auf das Himmlische Jerusalem. Oft war die dargestellte Landschaft und ihre Einzelteile jedoch vor allem eigenständiger Bedeutungsträger im Rahmen der Gesamtaussage des Bildes – die Lilie als Symbol der Reinheit, die Taube als Allegorie des Heiligen Geistes, der hortus conclusus als Sinnbild des Paradiesgarten, der locus amoenus als Idylle. Die Darstellung eines idealen oder konkreten geographischen Raums spielte dabei vorerst absolut keine Rolle.
Doch mit der Renaissance erwachte das Interesse von Künstlern und Auftraggebern an der sie umgebenden Natur und deren bildlicher Darstellung. Auf einmal wurde interessant, was der eigene Lebensraum zu bieten hat: endemische Pflanzen und Tiere, zeitgenössische Mode und Architektur, heimische Landschaft und Raum. Aber auch die Wiedergabe des Fremden wurde attraktiv: So zeichnet Albrecht Dürer eben nicht nur Hasen, Hände und Halme eines Wiesenstücks detailversessen nach, sondern auch sein >Rhinozeros< von 1515. Die den natürlichen Sehgewohnheiten entsprechende Zentralperspektive löste damals die im Mittelalter übliche Bedeutungsperspektive in der europäischen Kunst ab und erschuf der Malerei so die Illusion von Dreidimensionalität im zweidimensionalen Bild(raum).
Lange Zeit blieb die Landschaftswiedergabe jedoch vorwiegend zusätzliche – hermeneutische – Ausdrucksform verschlüsselter Inhalte. Adäquat zum vierfachen Schriftsinn gibt es auch in den Bildern des späten Mittelalters und der Renaissance immer noch häufig zu den evidenten Bildinhalten subtilere Kontextualität, die über ein komplexes System verschlüsselter Symbolik transportiert werden. So zeigt Dürers Porträt der Fürlegerin nicht nur ein junges, gut aussehendes Mädchen mit ein paar Blümchen in der Hand sondern diese verschiedenen Pflanzen sind für den >gebildeten Fachmann< wie eine Liste all ihrer guten Eigenschaften lesbar.
Im Barock wurde die Landschaftsmalerei endgültig zur eigenständigen, als gleichwertig anerkannten Gattung europäischer Kunst. Dank der zahlungskräftigen bürgerlichen Kunstkäufer erlebte sie vor allem in der niederländischen und flämischen Malerei ihren ersten Höhepunkt. Selbst die damals ebenso ausgesprochen beliebten, mythologischen Szenen fordern vom Betrachter wahre Findeleidenschaft, denn mitunter sind die antiken Götter, Nymphen und Helden derart geschickt und klein im Bild versteckt, dass man sich als Rezipient fragt, wieso diese wunderbar gestalteten elysischen Landschaftsbeschreibungen Titel mit antiker Referenz tragen.
Abgelöst wurden diese mimetischen Naturabbilder in der Malerei der Romantik durch eine Landschaftsüberhöhung symbolgeschwängerten, metaphysischen Ausdruckswillens. Ein nächtliches Seestück Caspar David Friedrichs ist eben nicht mehr nur Ausdruck seiner Sehnsucht nach dem Meer sondern vielmehr ein Sinnbild der durch das Schiff symbolisierten, in den Weiten des Ozeans und der Dunkelheit treibenden menschlichen Seele, welche ohne das Licht und Führung des Mondes – als Sinnbild Jesus Christus – unrettbar verloren wäre… Licht und Mystik spielen eine große Rolle und jede vermeintlich reine Naturstudie ist doch größtenteils eine ausgeklügelte Bildkomposition zur Illustration einer meist recht frommen Aussage. Die Landschaftsdarstellung wird in der Romantik zur Seelenlandschaft in der sich Künstler und Betrachter innerlich begegnen können.
Erst etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eroberte sich die Landschaft bei den Naturalisten und Realisten ihren eigenständigen Freiraum in der Malerei zurück. Doch schon für die Impressionisten wurde die Malweise gewissermaßen wichtiger als das Motiv. Gemalt wurde plein air – also draußen, an der Luft, vor dem Motiv. Keine Studien mehr fürs Atelier sondern das Atelier dem Motiv folgend an der frischen Luft – ein Verschmelzen von Künstler und Motiv wurde angestrebt. Der Eindruck, die Stimmung, das Licht- und Farbenspiel in der tatsächlichen Natur übernehmen unumschränkt die Regie in der abgebildeten Natur der impressionistischen Landschaftsmalerei.
Wenige Jahrzehnte später zählte Ausdruck statt Eindruck. Die Expressionisten erobern der Malerei mit Überzeichnung, Extremismus und Mutwillen völlig neue Ausdrucksmittel auch für die Landschaft. Ein seltsames Paradoxon ist dabei zu beobachten, nämlich dass je stiller, abgeschiedener, einsamer die dargestellte Natur ist, umso lauter, marktschreierischer und wilder geriet dabei die Darstellung des Gemäldes.
Mit der Verbreitung der Fotografie – also der scheinbar absolut detailgetreuen Wiedergabe – von Welt, Umwelt und Landschaft, wurde deren malerische Wiedergabe theoretisch obsolet. Praktisch sieht es hingegen ganz anders aus, Landschaften werden bis heute gemalt, gemalt und gemalt. Und Künstler, die sich dezidiert mit Landschaftsmalerei auseinandersetzen wie Gerhard Richter mit seinen Stimmungsmeeresbildern oder Peter Doig mit seinen bunt-dekorativ abstrahierenden Landschaften zählen zu den schon zu Lebzeiten unsterblich gewordenen Prominenten der Malerei.
Die Landschaftsbilder Konstanze Siegemunds beschäftigen sich nicht nur mit der reinen Wiedergabe der uns umgebenden Natur sondern auch mit unserem Verhältnis zu ihr. In den drei Abschnitten der Ausstellung und des Katalogs wird deutlich, wie wir uns in ihr bewegen und sie als >Jäger< ernten und ausschlachten; wie wir sie in Besitz nehmen, uns in ihr ansiedeln und sie zivilisieren aber auch, wie sie uns einfach, offen(herzig) und frei jederzeit umgebend zur Verfügung steht.
Meistens gehen wir in diesen hektischen Zeiten permanenter Reizüberflutung spazieren, wandern, raus, um zu uns selbst zurück zu finden. Auf unseren Wegen suchen wir Rückbesinnung auf unser Inneres, Wiedererfahrung unsere Zugehörigkeit zur Natur und der uns umgebenden Landschaft, der Jahreszeit und deren Rhythmus. Und egal ob wir die See, das Gebirge oder einfach nur unsere >Heimat< lieben, wir wollen uns durch ein mähliches aufeinander Einschwingen mit ihr zugleich befreien und heilen. Das soll uns auch die Landschaftsmalerei schenken – zumindest soll sie uns daran erinnern.
Dr. Susann Buhl -Kunsthistorikerin-
Text zur Ausstellung und für den Katalog -Land-
2010, Kunstallianz1 Berlin, Allianz Deutschland AG