Kunst, die nicht daherkommt wie eine Trendsportart, ist scheinbar selten geworden. Dort, wo der Pinsel wie im Veitstanz der Gefallsucht sich gebärdet, sind die Arbeiten von Konstanze Siegemund nicht zu Hause und dort haben sie nicht ihren Quell.
Wer ihre Arbeiten betrachtet, sollte das Wort „Würde“ kennen – eben das, was beim Menschen als ein Unantastbares gilt, wiewohl bei reichlich vielen es nur etwas Unauffindbares ist.
Diese Bilder hier fangen Momente ein, die knapp vor der Wirklichkeit liegen. Da waltet noch die Gnädigkeit des Nebulösen und der Klarsicht Schonungslosigkeit hat ihren Raum noch nicht zur Gänze okkupiert. Das wirklich wirkliche Bild ist zu schaffen dem eigenen Auge und Kopf zu überlassen.
Mittels ihrer Technik der partiellen Verwaschung verschafft uns die Künstlerin eine Art reziprokes Dejà vu, in dem Dinge, Verhältnisse, Situationen und Menschenwege etwas abseits ihrer bisherigen Vertrautheit erscheinen. Darüber hinaus gelingt ihr, aus dem Sujet selbst ein Mittel zu gewinnen, das ihren Zwecken dienstbar wird. Beim Löwenhund ist es die Glut der sonnenheißen Wüste, in der Reihe Wege der sinntrübe Regenschleier, die beide sowohl realistisches Moment der situativen Wirklichkeit als auch formales Mittel sind, diese zu brechen resp. zu überhöhen zu einer Szenerie, die wir kennen meinen, obwohl wir nie dergleichen sahen.
Die Bildpaare menschengroßer Bäume, wie auch „Jäger“ und „Gefährte“, zeigen zudem ein kluges Spiel mit der Reflexion von Teil und Ganzem, Element und System, Vereinzelung und Einbettung. Das Hinausschreiten über die Unrichtigkeit isolierender Betrachtung lässt den Gewinn einer Synthese zu, die in größerem Maße eins mit der Wirklichkeit ist, als ein borniertes Gemüt sich je vorzustellen vermag. Und jedes Einzelbild in seiner singulären Existenz könnte der Beginn einer wundervollen Geschichte sein. Nicht etwa Scheu vor, sondern selbstbewusstes Spiel mit der Wirklichkeit ist es, auf das und einzulassen wir geladen sind. Das Verdikt der Heisenbergschen Unschärferelation, wonach der Standpunkt des Betrachters das Beobachtungsergebnis beeinflusst, wird hier mit ästhetischem Feinsinn in die Verlockung überführt, unsere Wahrnehmung spielerisch durch die Bilderflächen flanieren lassen.
Der Auftrag der Farben offenbart dabei jene behutsam nachdrückliche Führung, die dem Bilde einschreibt, was der/dem Betrachtenden ein Angebot sein könnte. Im Falle des Ausschlagens oder gar ausbleibender Wahrnehmung dessen, wären bedauernd die Schulter zu zucken, Goethe zitierend: „Wenn ihr´s nicht fühlt, ihr werdet´s nicht erjagen.“
Frank Kasch -Kulturwissenschaftler-
Text zur Ausstellung und für den Katalog -Vom Verschwinden im Augenschein-
2005, Galerie Spinnerei/Archiv, Leipzig